Über Ilja Hofstädt

Ilja Hofstädt spielte bei Hertha BSC Amateure, bis er verletzungsbedingt seine Handschuhe an  den Nagel hängen musste. Seit 17 Jahren arbeitet er als Torwart-Trainer in der Hertha-Akademie. Zur Zeit ist er Torwartkoordinator und Leiter der Torwartschule Hertha BSC. Darüber hinaus ist Ilja Torwarttrainer der DFB U17-Nationalmannschaft.

Bild: Ilja Hofstädt, Torwart-Trainer der U17-Nationalmannschaft, Torwartkoordinator und Leiter der Torwartschule von Hertha BSC

Ilja Hofstädt, Torwart-Trainer der U17-Nationalmannschaft, Torwartkoordinator und Leiter der Torwartschule von Hertha BSC

Interview

Theo: Hallo Ilja, du bist zurück aus Indien. Wie war Indien als Gastgeber für die U17 Junioren Fußball WM?

Ilja: Die Menschen sind sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Das Land ist riesig. In den Ballungsgebieten, wozu ja auch unsere Spielorte zählen, existiert ein unvorstellbares Verkehrschaos, es sind zu jeder Tages und Nachtzeit unglaubliche Menschenmassen auf den Beinen, es scheint niemand jemals zu schlafen.

Neu- Dehli, eine der sogenannten Mega Citys in der Welt, hat alleine so viele Einwohner wie die frühere DDR (17 Mio). Was sich bei mir nachhaltig verfestigt hat ist die Erkenntnis, wie groß die Schere zwischen Luxus und Armut auf unserer Erde sein kann.

Und dennoch sind die Menschen in Indien unglaublich freundlich und dankbar, auch dafür, dass so ein sportlich großes Ereignis wie eine U17 Junioren Fußball WM in ihrem Land stattfinden kann. Kolkatta ist fußballverrückt, was alleine die Tatsache zeigt, dass 68.000 Zuschauer (!) bei unserem Viertelfinalspiel gegen Brasilien im Stadion waren. Es war der Wahnsinn.

Für mich und hoffentlich auch viele unserer jungen Spieler bleibt eine Erkenntnis aus der WM in diesem Land: Es ist schon ein Privileg in Deutschland geboren und groß geworden zu sein. Und wir können und sollten uns dies öfter vor Augen halten. Wir sollten  uns in unserem Alltag durchaus eine Portion Demut mehr leisten.

Theo: Die Frage muss sein: Bist Du zufrieden mit dem Ergebnis der U17-WM in Indien?

Ilja: Natürlich nicht. Unser Ziel war das Finale. Und wenn man da gestanden hätte, auch der Titel. Wir haben bis zum Viertelfinale eine gute WM gespielt, steigerten uns nach der Niederlage in der Vorrunde gegen den Iran merklich. Gegen Brasilien spielten wir auf Augenhöhe, leider hatten die Südamerikaner mit 2 sensationellen –unhaltbaren- Toren am Ende die Nase vorne.

Theo: Warst Du mit den DFB Nachwuchstorhütern zufrieden?

Ilja: Luca Plogmann spielte eine sehr gute WM. Außerhalb der Spiele war die Stimmung in meinem TW-Team Plogmann/Klatte/Prinz extrem leistungsfördernd und harmonisch. Das ist nicht immer so, jedoch aus meiner Sicht für den Teamspirit und als wesentlicher Teil einer Mannschaftleistung extrem wertvoll und zielführend. Die Jungs sind am Anfang einer vielleicht großen Laufbahn, es zahlt sich aus, wenn Talent, Wille und ein fairer Umgang mit dem Torwartkollegen vorhanden sind.

Theo: Ich favorisiere den Begriff Torspieler, weil er meiner Meinung nach am ehesten  ausdrückt, wie die Erwartungen an eine moderne Nummer 1 sind. Der DFB verwendet die Begriffe Torwart und Torhüter. Wie stehst Du dazu?

Ilja: Aus meiner Sicht muss der Junge oder das  Mädchen im Tor Tore verhindern. Also ist er in erster Linie für mich ein Torwart. Dass sich das Anforderungsprofil an den heutigen Torwart- letztendlich seit der Einführung der Rückpassregel vor 25 Jahren- verändert hat, ist offensichtlich.  Der  beidfüßig,  taktisch  klug  handelnde  und  mitspielende  Torwart  ist  ein

„Produkt“ der Entwicklung im Fußball der letzten 20 Jahre. Schau Dir Spieleröffnungen bei WM oder EM in den 1980ern Jahren an. Fast ausschließlich weite, aus der Hand geschlagene Bälle  in die gegnerische Spielhälfte. Viel weniger kontrollierte, ballbesitzorientierte Spieleröffnungen

als heute. Das läuft in jüngster Vergangenheit anders und deshalb sind die spielerischen Fähigkeiten der Torwarte von heute von so großer Bedeutung. Der Begriff Torwart heutzutage  schließt nicht aus, dass man gut Fußballspielen kann. Ganz im Gegenteil, es beinhaltet wesentliche Formen des Offensivspiels. Für mich bleibt es deshalb bei dem Begriff Torwart.

Theo: Was denkst Du? Wie werden sich die Anforderungen an unsere Tormänner  und Torfrauen in den nächsten Jahren verändern?

Ilja: Das Fußballspiel unterliegt einem Trend: Es wird immer schneller. Damit unmittelbar verbunden sind die wachsenden Anforderungen insbesondere an Handlungsschnelligkeit und Vor-Orientierungsfähigkeit der Mannschaft im Allgemeinen und der Spieler aber auch der Torwarte im Speziellen.

Ballbesitz-orientiertes und schnelles Umschaltspiel erfordern auch vom Torwart viel mehr als nur Bälle zu halten und zu verteilen. Das bedeutet, die richtige Entscheidung in Millisekunden zu treffen. Bestmöglich zu antizipieren, das Spiel immer besser zu lesen, zu dirigieren, zu puschen aber auch situativ bedingt Ruhe ins Spiel zu bringen.

In zunehmendem Maße werden auch die Anforderungen an die mentalen Fähigkeiten der Torwarte in den Fokus rücken. Psychologische Stabilität sind die Schlüsselwörter. Altersspezifisch und kontinuierlich ist daran zu arbeiten. Hier müssen sportpsychologische Experten und wir als Trainer Hand in Hand arbeiten. Das ist die Komplexität, die auf dieser exponierten Position den Unterschied macht.

Theo: Kannst Du dazu noch einmal zusammenfassen: Wie sieht der optimale Spieler im Tor für den DFB aus?

Ilja: Die Anforderungen an Spitzentorwart- ob im DFB oder in einem Spitzenclub – können aus meiner Sicht vielleicht so zusammengefasst werden.

Neben konditionellen und technischen Befähigungen als Grundlagen seines positionsspezifischen Handelns sind für ihn Taktik und psychologische Aspekte die  wesentlichen Faktoren. Seit geraumer Zeit wird sehr gerne vom „modernen“ Torwartspiel gesprochen. Was ist jedoch modern?

Als Gordon Banks bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko zum ersten Mal spezielle Torwarthandschuhe trug, war das auch modern. Was ich sagen will, „modern“ trifft immer den Zeitgeist, jedoch ist die Entwicklung beim Torwartspiel und somit auch das Anforderungsprofil an den Torwart sehr dynamisch.

Viele  Handlungsmuster, die heute existieren, werden sich in der Zukunft auch wieder verändern – auch wenn wir heute noch nicht einmal ahnen können, auf welche Weise. Viele Beispiele gibt es hierfür, angefangen vom sogenannten „Block“ in Eins gegen Torwart-Situationen bis zum Stellen von Mitspielern an die Torpfosten bei Eckbällen.

Neben diesen immer gegebenen dynamischen Entwicklungsstufen und deren „Verinnerlichung“ wurde und wird ein Spitzentorwart jedoch immer gemessen an seinen technischen und koordinativen Fähigkeiten, seiner Physis, seinem Mut, seiner Kompromisslosigkeit, der Konzentrations- und Antizipationsfähigkeit, seinen spielerischen Möglichkeiten und seiner Spielintelligenz.  Den Faktor psychologische Stabilität habe ich schon erwähnt. Eine ordentliche Portion „Coolness“ und  „Schlitzohrigkeit“ runden das Bild ab.

Theo: Gibt es aus Deiner Sicht zum optimalen Torspieler ein weitgehend einheitliches Verständnis zwischen dem DFB und den Nachwuchsleistungszentren (NLZ)? Oder gibt es da auch sehr große Unterschiede?

Ilja: Ich denke zwischen den Genannten gibt es in allen grundlegenden Fragen zur Torwartausbildung und den Kriterien im Anforderungsprofil Einigkeit.

Wenn es bei der Torwartausbildung prinzipielle Differenzen zwischen DFB und NLZ gäbe,  würde Deutschland nicht seit vielen Jahren eine so große Leistungsdichte und eine extrem „breite Spitze“ bei Toptorleuten haben.

Vielleicht sind in dem ein oder anderen Aspekt die Trainingsmethoden unterschiedlich, dass ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass hier an einem Strang gezogen wird. Das gemeinsame Bestreben sowohl von den NLZ als auch vom DFB ist es, die in den Spielen auftretenden Anforderungen an einen Torwart im höchsten Leistungsbereich stetig zu erfassen, zu analysieren und auf dieser Grundlage  ein kontinuierliches Feedback für den täglichen Trainingsbetrieb zu erhalten.

Theo: Der DFB führt ja regelmäßig Lehrgänge mit einigen Top-Torspielern durch. Warum sind diese Lehrgänge notwendig? Was unterscheidet diese Lehrgänge von der Ausbildung in den Nachwuchsleistungszentren (NLZ)?

Ilja: Zu diesen Lehrgängen erhalten jahrgangsbezogen Torwarte Einladungen, auf die der DFB über sein vielfältiges Scoutingsystem aufmerksam wurde. Jungs, die im Pflichtspielalltag überzeugt haben. Die Lehrgänge sind ein Baustein, um am Ende des Tages die Besten für ganz oben, also unsere A-Nationalmannschaft zu finden. Darüber hinaus haben diese Lehrgänge einen Mehrwert für die Torwarte in der Form, dass neben der guten Arbeit in den Leistungszentren, auch mal andere Reize und Eindrücke gesetzt werden können.

Beim DFB können sich die Torwarte auf dem höchstmöglichen Niveau in ganz Deutschland mit den besten Spielern ihres Jahrgangs messen. Durch diese Trainings- (und Spielreize) profitieren auch die Heimatvereine.

Theo: Wie siehst du die Torspieler-Ausbildung des DFB im Vergleich zu anderen Verbänden?

Ilja: Das kann nicht bewerten, vielleicht nur so viel: In der Schweiz, in den Niederlanden oder auch in Spanien, Italien und England, wird ebenfalls seit Jahren auf die spezielle Ausbildung dieser Position größter Wert gelegt.

Theo: Ich bekomme regelmäßig Fragen von jungen Fußballern, die Fußballprofi werden wollen. Eine große Sorge ist immer wieder, nicht in der richtigen Auswahl oder im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) zu spielen. Kannst Du diesen Menschen Mut machen?

Ilja: Am Anfang einer jeden großen Torwartkarriere stand der Traum so zu sein wie sein Idol Neuer, Buffon oder ter Stegen, oder wie sie alle heißen, die Großen… Neben dem notwendigen Talent ist dieser Traum die Grundlage für den Willen, der wiederum  Voraussetzung ist, um sein vorhandenes Talent voll zu entfalten.

Jeder ambitionierte Torwart in der F- Jugend muss jedoch wissen, dass der Weg des Talents zum Toptalent und vielleicht zum Profi Torwart auch gepflastert ist mit Verzicht und Disziplin. Leistungssport bedeutet darüber hinaus auch Kampf mit sich selbst. Da hilft gerade in jungen Jahren ein unterstützendes positives und motivierendes Umfeld, Freunde, nicht überambitionierte Eltern und natürlich auch die Trainer im Verein.

In einem NLZ ausgebildet zu werden, ist sicherlich ein wesentlicher Vorteil, um vom Toptalent zum Profi heranzureifen. In der Regel ist es so, dass Talente, wenn sie gesichtet wurden, in ein solches Leistungszentrum kommen. Auch wenn ich im Inneren ein großer Verfechter der „Nichts ist unmöglich“ Theorie bin, dass ein junger Torwart Profi wird, ohne in die Ausbildung, die Forderungen und Förderungen in einem NLZ nebst Rahmenbedingungen (u.a. Schule, abgestimmte Stundenpläne) erfahren und gelebt zu haben, wird wohl eher die Ausnahme bleiben. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe unseren U23 Torwart Luis Zwick.

Theo: Das ist natürlich das beste Argument: Es gibt echte Beispiele! Was würdest Du einem jungen Torspieler heute raten, der Profi werden will?

Ilja: Ich würde in diesem medial so präsentem Sport, jedem jungen Fußballer empfehlen, fleißig zu trainieren um seinen Traum Realität werden zu lassen. Das ist jedoch nur ein Mosaiksteinchen im Puzzle der Profikarriere, jedoch ein wesentlicher. Bestimmte Dinge sind  vom Umfeld abhängig, der Spruch „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“ trifft natürlich auch in gewisser Form auf Fußballer-Karrieren zu.

Beeinflussbar von jedem begabten Teenie ist der Lebenswandel von der gesunden Ernährung bis zum ausreichenden Schlaf. Tugenden, die grundsätzlich ein jeder junge Mensch in sich vereinen sollte, wie Disziplin, Respekt, Ehrlichkeit und eine gesunde Demut sollten ebenso Bestandteil des Puzzles sein. Und manchmal braucht es auch eine Portion Geduld…, um wirklich vor tausenden Fans im Stadion zwischen den Pfosten stehen zu können.

Zu Vielfalt einer jeden Biografie gehört es- bei allen Ambitionen zu Profi, parallel die Schule erfolgreich abzuschließen und danach bestmöglich eine duale Karriere, bestehend aus Sport und Ausbildung oder Studium anzustreben. Hierfür braucht es einer klarer Struktur und wieder einmal besonders großen Willen! Die Praxis zeigt jedoch, dass entweder verletzungsbedingt oder durch ein Leistungstal verursacht, eine Fußballer-Karriere schnell stagnieren oder von heute auf morgen zu Ende gehen kann. Und dann muss man gerüstet sein, für ein Leben ohne Leistungssport.

Theo: Viele meiner Leser sind keine Torspieler sondern Mannschaftstrainer, die oft nicht richtig wissen, was sie mit ihrem Sonderling im Tor machen sollen. In den unteren Ligen gibt es meist keine Torspieler-Trainer. Was kannst Du Mannschaftstrainern zum Umgang mit ihren  Torspielern raten?

Ilja: Oftmals arbeiten diese Trainer in den Vereinen ehrenamtlich oder mit geringer Aufwandsentschädigung. Ein zusätzlicher Mehraufwand, um sich grundlegende Ausbildungskriterien in der Torwartausbildung anzueignen, bedarf hoher innerer Motivation für die betreffenden Mannschaftstrainer. Angebote zum Selbststudium gibt es auf mehr oder weniger guten Web-Seiten online und oder über Literatur in Deutschland (z. B. DFB-Leitfaden Torwartspiel) ausreichend.

Es zahlt sich in jedem Fall aus im Sinne der Mannschaftsleistung, deshalb empfehle ich jedem Mannschaftstrainer in unteren Ligen, sich mit den Basics des heutigen Torwartspieles auseinanderzusetzen. Wir bei Hertha BSC haben dieses Thema aufgegriffen und realisieren in regelmäßigen Abständen einen „Torwarttrainertag“. Hier sind neben Torwarttrainern auch Mannschaftstrainer angesprochen, die in ihrer Mannschaft oder im Verein keine spezielle Torwartausbildung haben.

Theo: Vielen Dank für das Interview.

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